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Kommunikation im Wachkoma (reaktionslose Wachheit)

  • Erstellt von Dirk Franke
  • Fachwissen außerklinische Beatmung und Intensivpflege

In der Pflege und Betreuung von Menschen mit schweren erworbenen Hirnschädigungen, stehen wir sehr oft vor der Herausforderung Schmerzen zu ermitteln und die Wünsche sowie das Befinden zu erkennen. Dies trifft vor allem auf Menschen im Syndrom reaktionsloser Wachheit (umgangssprachlich als „Wachkoma“ bekannt) und auf Menschen mit minimalem Bewusstsein zu.

Kommunikation im "Wachkoma"

 
Was versteht man unter dem Begriff „Wachkoma“?

Die Bezeichnung „Wachkoma“ bezeichnet umgangssprachlich das Syndrom reaktionsloser Wachheit. Menschen im Syndrom reaktionsloser Wachheit wirken zwar wach, haben aber (auf Grund der massiven Schädigung der Großhirnfunktionen) keine Möglichkeit sich ihrer Umwelt mitzuteilen. Die erkennbaren Reaktionen des Körpers, z.B. auf einen gezielten Schmerzreiz eine kurze mimische Reaktion oder ein Zusammenzucken, sind vegetativ, also eher unbewusst.

Was versteht man unter minimalem Bewusstseinszustand (MCS)?

Anders verhält es sich bei Menschen mit minimalem Bewusstsein auch bekannt unter dem Fachbegriff MCS (minimally conscious state). Hier kann es abhängig von der kognitiven Entwicklung zu unterschiedlichen, jedoch bewusst wahrnehmbaren Verhalten kommen. Das sind Reaktionen auf Ansprache, wie das Öffnen der Augen, die Kopfdrehung auf ein akustisches Signal und Körperreaktionen auf Berührung, z.B. das Strecken nach dem Schlaf. 
Menschen im minimalen Bewusstseinszustand besitzen grundsätzlich die Möglichkeit, anhand eines komplexen Entwicklungsprozesses Stück für Stück das Bewusstsein wiederzuerlangen. 
In diesem Entwicklungsprozess kommt es dann nach und nach eventuell zur Blickfixation und Blickfolgung. Auch ist es möglich, dass die Betroffenen bekannte Personen visuell wie auditiv erkennen. Schließlich ist es möglich, dass die Taktilität wieder einsetzt, sodass Gegenstände gezielt ertastet werden können und die Betroffenen sich auch mit Hilfe von Sprache verständigen können.

Dies trifft jedoch leider nicht auf alle Patienten im minimalen Bewusstsein zu, meist verbleiben die Menschen in einer niedrigen kognitiven Entwicklungsstufe, der sogenannten Remissionsphase. Doch auch in Remission der Primitiv-Psychomotorischen Phase (Gerstenbrandt 1967) kann man Reaktionen der Betroffenen als Indiz eines Dialogaufbaus wahrnehmen, wenn es einem gelingt, sich auf diese Kommunikation einzulassen, auch wenn die Interpretation der Reaktionen subjektiv erscheint.

Biomedizin und Beziehungsmedizin

Im Umgang mit Menschen diesen schwerstbetroffenen Menschen müssen wir deutlich in zwei Kategorien der Medizin unterscheiden. In der alltäglichen Pflege und Betreuung kommt vor allem die „Biomedizin“ zum Tragen. Hierrunter versteht man alle Maßnahmen, welche die Funktionalität des Menschen im Genesungsprozess körperlich unterstützen. Zu diesen Maßnahmen gehört neben der medikamentösen Therapie und der Beatmungstherapie auch die physikalische Therapie.

Die wohl wichtigste Kategorie ist jedoch die Beziehungsmedizin, denn sie ist maßgeblich für die psychische Stabilität der Betroffenen verantwortlich. Es ist bekannt, dass die Psyche des Menschen einen wesentlichen Faktor im Heilungsprozess darstellt, denn nur ein psychisch stabiler Mensch kann sich auf therapeutische Maßnahmen einlassen und ist damit auch rehabilitierbar.

Oft sind auch körperliche, krankhafte Reaktionen, auf eine psychische Belastung und den damit verbundenen psychischen Schmerz (z.B. nach einer traumatischen Erfahrung; siehe auch PTBS) zurückzuführen.

Die Beziehungsmedizin bietet hier einen Lösungsansatz. Grundlegend betrachtet, bezieht sich diese Form der Medizin darauf, den betroffenen Menschen als Mensch mit Einschränkung, in einer anderen Lebensart wahrzunehmen und zu akzeptieren. Die wesentlichen Ziele sind es dabei, dem betroffenen Menschen Halt zu geben und ihn somit in seiner Autonomie zu fördern. Die Kommunikation mit all ihren Facetten der Kommunikationsstile und des Zuhörens, spielt dabei die wohl größte Rolle.

Kommunikation mit neurologisch Schwerstbetroffenen

Im Zusammenhang mit den neurologisch schwerstbetroffenen Menschen, bedeutet Zuhören, abhängig von der kognitiven Leistungsfähigkeit des Betroffenen, vor allem eines: beobachten. 
Die Körpersemantik bietet uns dabei die meisten Interpretationsmöglichkeiten. Professor Andreas Zieger hat in seiner langjährigen Arbeit mit diesen Menschen ein vielfältiges System des Dialogaufbaus entwickelt. Demnach kann man Körperreaktionen oft als Indiz für eine emotionale, kommunikative Reaktion deuten.

Kontaktaufnahme oder Kontaktverweigerung

Zum einen unterscheidet man zwischen Anzeichen für eine Kontaktaufnahme mit der Umwelt / mit Personen und Anzeichen für das Verschließen gegenüber der Umwelt / Personen. So kann ein geöffneter Mund, Lippenbewegung, Kauen und schmatzen, Anzeichen für sich öffnen sein. 
Wenn zum Beispiel der Mund geschlossen wird und die Lippen zusammengekniffen werden, dann ist dies eher als Anzeichen für das Verschließen zu werten. 
Erste mimische Reaktionen wie Angst, Missfallen, Freude sind im weiteren Dialogaufbau hingegen Indizien für eine emotionale Darstellung des Selbstbefindens oder der Stimmungslagen und lassen auf eine Dialogbereitschaft Seitens des betroffenen Menschen schließen.

Betrachtet man also die Beziehungsmedizinischen Aspekte der Kommunikation mit schwerst bewusstseinsgestörten Menschen, auf Grund erworbener Hirnschädigungen, so kann man deutlich sagen, dass (abhängig von der kognitiven Entwicklungsstufe) diese Menschen nicht „nicht kommunizieren“. 
Für einen im Pflege- und Betreuungsprozess Beteiligten (ganz gleich ob Pflegekraft, Arzt oder Therapeut) ist es deshalb besonders wichtig, sich auf die jeweilige Kommunikationsform einzulassen. Die genaue Beobachtung der Reaktionen ist dabei unabdingbar und wesentlich für den Dialog. Auch wenn man vermeintlich negative Reaktionen erhält, wie z.B. durch emotionale Dekompensationen, welche sich in Symptomen der Dyspnoe zeigen, weil der Betroffene Anzeichen des Aufschreiens zeigt, oder einer erhöhten Tonisierung  in Verbindung mit einer Erhöhung der Herzfrequenz, dann sollte man dem Menschen das Recht zugestehen, diese Emotionalität zu erleben, denn auch unser Leben besteht nicht nur aus Entspannung und Gelassenheit. 
Wenn ein gesunder Mensch sich unwohl fühlt, behandelt er dieses Unwohlsein in der Regel auch nicht sofort medikamentös. Es gibt Höhen und Tiefen im Leben, die wir als Menschen durchleben sollten. 
Das bedeutet, man muss auch mal „Aushalten“ können, bevor man zugleich diese Situation medikamentös unterdrückt, auch weil es durchaus nicht medikamentöse Möglichkeiten, wie Raumverkleinerung, Körpertücher oder einfach Nähe, gibt.  
 

Schmerz

Der Dialog- und Kontaktaufbau ermöglicht uns, den betroffenen Menschen psychisch zu stabilisieren und somit auch rehabilitativ zu versorgen und auf wesentliche Veränderungen, wie z.B. Schmerz, zu reagieren. 
Denn der Schmerz ist das wohl basalste Gefühl, welches ein Mensch zum Ausdruck bringen kann. Wenn man einen akuten Schmerz erfährt, dann ereignen sich mehrere Körperreaktionen zugleich. Die Reaktionen, die wir bei uns selbst erfahren, können wir grundsätzlich auch als deutliche Anhaltspunkte für eine Schmerzreaktion bei den Betroffenen nehmen.

Also schauen wir uns erst einmal an, was Reaktionen unseres Körpers auf akuten Schmerz sind: 
Zum einen verändert sich die Atemfrequenz, denn entweder gibt es das deutliche „Au“ wodurch sich dann unser Atemmuster verändert, oder wir halten die Luft an, um dann tief ein und aus zu atmen. Zugleich erhöht sich die Herzfrequenz, es gibt eine mimische Reaktion und wir erhöhen den Körpertonus in der Schmerzregion oder im gesamten Körper. 
Wie stellen also fest: es gibt drei bis vier wesentliche Körperreaktionen, mit denen wir Schmerz verbinden können. Genau diese Reaktionen in Verbindung miteinander sollten wir auch bei schwerst Bewusstseinsgestörten Menschen als Indiz zur Schmerzbewertung verwenden. Man sollte sich dabei jedoch nicht nur auf die erste offensichtliche Reaktion verlassen. Oft sind diese auch nur der plötzlichen Wahrnehmung des Geschehenen zu schulden. Diese Reaktionen sind in der Regel die Mimik oder der erhöhte Tonus. 
Gern möchten wir dies einmal an einem Beispiel verdeutlichen:

Wenn eine pflegende Person im Versorgungsprozess (z.B. beim Ankleiden) die oberen Extremitäten physiologisch bewegt und der Betroffene hierbei mimisch reagiert oder plötzlich den Tonus im betroffenen Arm erhöht, dann muss dies nicht zwangsläufig ein Zeichen von Schmerz sein. Hierbei kann es sich auch um eine Art „Aha-Effekt“ handeln, der Betroffene nimmt seinen Körper und sein mögliches Bewegungsmuster wahr. 
Um dies zu sichern, sollte man die Bewegung nach einer kurzen Pause von wenigen Sekunden wiederholen. Häufig erlebt man in der Wiederholung keine weitere Reaktion. Es ist aber auch zu beachten, dass man nicht immer gleich auf Schmerz reagiert, oftmals verändert sich auch die Toleranzgrenze, abhängig unter anderem von der psychischen Stabilität und somit Kompensationsfähigkeit.


Kommunikation – auch im minimalen Bewusstseinszustand möglich

Kommunikation ist für uns Menschen allgegenwärtig. „Nicht zu kommunizieren“ entspricht schlicht und einfach nicht unserem naturell, dies gilt auch für Personen mit erworbenen Hirnschäden, denn auch von Ihnen geht eine Kontakt- und somit Kommunikationsfähigkeit aus. Und wenn man die tatsächlichen Versorgungszahlen betrachtet, dann werden heute in vielen Facheinrichtungen Menschen im minimalen Bewusstsein, selten im Vollbild des Syndroms reaktionsloser Wachheit (Wachkoma), betreut. Der wesentliche Anspruch im Dialogaufbau mit diesem Menschen ist deshalb ganz einfach: „Augen auf!“

 
Man kann nicht nicht kommunizieren. 
(Paul Watzlawick)

 

Zum Autor:

Dirk Franke ist Fachkoordinator für Langzeitrehabilitation in der ZBI Gruppe. Weitere lesenswerte Artikel von ihm sind:

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