Kommunikation im Wachkoma: Verständigung mit schwerstbetroffenen Patienten
Was versteht man unter dem Begriff „Wachkoma“?
Der Begriff „Wachkoma“ wird umgangssprachlich häufig verwendet, um das Syndrom reaktionsloser Wachheit zu beschreiben. Dieses Syndrom betrifft Menschen, die zwar einen wachen Zustand zeigen – ihre Augen können geöffnet sein, und sie können einen regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus haben –, jedoch aufgrund schwerer Schädigungen der Großhirnfunktionen keine bewusste Wahrnehmung ihrer Umgebung besitzen.
Die betroffenen Personen können sich nicht gezielt mitteilen oder aktiv an ihrer Umwelt teilhaben. Ihre Körperreaktionen wie z.B. eine kurze mimische Reaktion auf einen Schmerzreiz oder ein plötzliches Zusammenzucken sind meist vegetativ, das heißt, sie geschehen automatisch und ohne bewusstes Zutun. Diese vegetativen Reaktionen können manchmal irreführend wirken, da sie den Eindruck erwecken, der Betroffene würde auf äußere Reize bewusst reagieren. Tatsächlich jedoch handelt es sich um unbewusste Reflexe.
Typische Merkmale des Wachkomas:
- Geöffnete Augen, aber ohne bewusste Fixierung oder Blickkontakt
- Schlaf-Wach-Rhythmus ohne Anzeichen von Träumen oder aktiver Wahrnehmung
- Vegetative Reaktionen auf äußere Reize wie Schmerz, die nicht willentlich gesteuert werden
Das Wachkoma ist daher ein Zustand, in dem der Patient zwar wach wirkt, aber geistig abwesend ist. Für Angehörige und Pflegekräfte kann dies besonders herausfordernd sein, da die Grenze zwischen vegetativen Reaktionen und potenziell bewussten Reaktionen oft schwer zu ziehen ist.
Was versteht man unter minimalem Bewusstseinszustand (MCS)?
Im Gegensatz zum Wachkoma gibt es bei einigen Patienten einen minimalen Bewusstseinszustand (MCS), auch bekannt als minimally conscious state. Dieser Zustand ist durch fluktuierende, aber nachweisbar bewusste Reaktionen auf Umweltreize gekennzeichnet. Die kognitiven Fähigkeiten dieser Patienten sind stark eingeschränkt, aber es bestehen noch rudimentäre Wahrnehmungen und Reaktionen.
Typische Merkmale des minimalen Bewusstseinszustands:
- Öffnen der Augen als Reaktion auf Stimmen oder Licht
- Kopfdrehung in Richtung eines Geräusches oder einer Lichtquelle
- Körperliche Reaktionen auf Berührung, wie z.B. das Greifen nach einem Gegenstand oder das Zurückziehen bei unangenehmen Reizen
Im minimalen Bewusstseinszustand besteht die Möglichkeit, dass der Patient im Laufe der Zeit durch einen komplexen, schrittweisen Entwicklungsprozess einige seiner Bewusstseinsfähigkeiten zurückerlangt. Dieser Prozess ist jedoch individuell und kann unterschiedlich lange dauern. In einigen Fällen kann es zur Blickfixation und Blickfolgung kommen, wobei der Patient gezielt einem Objekt oder einer Person mit den Augen folgt. Auch die Erkennung bekannter Personen, sowohl visuell als auch auditiv, kann im Laufe der Zeit wieder möglich werden.
Mögliche Fortschritte bei MCS-Patienten:
- Blickfixation: Der Patient kann gezielt auf ein Objekt oder eine Person schauen.
- Blickfolgung: Das Auge folgt beweglichen Objekten oder Personen.
- Taktilität: Der Patient kann Gegenstände gezielt ertasten und möglicherweise wieder ein Gefühl für Berührungen entwickeln.
- Sprachliche Verständigung: Einige Patienten entwickeln die Fähigkeit, sich rudimentär mit Sprache oder Geräuschen auszudrücken.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass nicht alle Patienten im minimalen Bewusstseinszustand diese Fortschritte machen. Viele verbleiben in einer niedrigen kognitiven Entwicklungsstufe, der sogenannten Remissionsphase. In dieser Phase sind die Fortschritte begrenzt, und die Betroffenen zeigen oft nur minimale Reaktionen. Trotzdem können auch diese Reaktionen wichtige Indizien für die Kommunikation sein, insbesondere wenn Pflegekräfte und Angehörige bereit sind, sich auf die nonverbalen Kommunikationsformen einzulassen.
Die Rolle der Pflege in der Remissionsphase:
- Geduld und Beobachtung: Pflegekräfte müssen geduldig sein und auf kleinste Veränderungen in der Mimik und Gestik achten.
- Subtile Signale: Oft sind die Reaktionen so subtil, dass sie leicht übersehen werden können, z.B. ein leichtes Zucken oder eine Veränderung in der Atemfrequenz.
- Anpassung der Pflege: Die Pflege sollte auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten abgestimmt werden, um dessen Wohlbefinden zu maximieren.
Biomedizin und Beziehungsmedizin: Zwei zentrale Ansätze in der Pflege
Im Umgang mit schwerstbetroffenen Menschen, insbesondere solchen im Wachkoma oder minimalen Bewusstseinszustand, spielen zwei medizinische Kategorien eine entscheidende Rolle: die Biomedizin und die Beziehungsmedizin.
Biomedizin: Unterstützung der körperlichen Funktionen
Die Biomedizin konzentriert sich auf alle Maßnahmen, die die körperliche Genesung unterstützen. Dies umfasst eine breite Palette von Therapieansätzen, die darauf abzielen, die körperlichen Funktionen des Patienten zu erhalten und zu verbessern. Zu den wichtigsten biomedizinischen Maßnahmen zählen:
- Medikamentöse Therapie: Zur Kontrolle von Symptomen und zur Unterstützung der körperlichen Funktionen.
- Beatmungstherapie: Besonders wichtig bei Patienten, die auf eine maschinelle Unterstützung angewiesen sind, um die Atmung aufrechtzuerhalten.
- Physikalische Therapie: Fördert die Mobilität und beugt Muskelabbau sowie Kontrakturen vor.
Diese Maßnahmen sind unerlässlich, um die Grundfunktionen des Körpers zu erhalten und mögliche Komplikationen zu verhindern. Die biomedizinische Betreuung ist somit eine unverzichtbare Grundlage für die Versorgung schwerstbetroffener Patienten.
Beziehungsmedizin: Förderung der psychischen Stabilität
Die Beziehungsmedizin hingegen geht über die rein körperliche Versorgung hinaus und konzentriert sich auf die psychische Stabilität der Patienten. Sie betont die Bedeutung von Beziehungen und Kommunikation als zentrale Elemente im Heilungsprozess. Ein psychisch stabiler Patient ist besser in der Lage, sich auf therapeutische Maßnahmen einzulassen und Fortschritte zu machen. Die Beziehungsmedizin verfolgt folgende Ziele:
- Akzeptanz des Patienten als individueller Mensch mit besonderen Bedürfnissen.
- Förderung von Halt und Sicherheit: Durch eine vertrauensvolle Beziehung wird dem Patienten ein Gefühl von Sicherheit vermittelt.
- Unterstützung der Autonomie: Durch gezielte Maßnahmen wird versucht, die Selbstständigkeit des Patienten, soweit möglich, zu fördern.
- Kommunikation in all ihren Facetten: Das Zuhören, Beobachten und Verstehen nonverbaler Signale ist zentral für den Aufbau einer Beziehung.
Oft sind auch körperliche Symptome das Resultat psychischer Belastungen, wie beispielsweise nach traumatischen Erfahrungen (z.B. PTBS). Hier bietet die Beziehungsmedizin wichtige Ansätze, um diesen psychischen Belastungen entgegenzuwirken und somit auch körperliche Beschwerden zu lindern.
Wichtige Ansätze der Beziehungsmedizin:
- Verstehen der individuellen Bedürfnisse des Patienten.
- Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung durch regelmäßige, einfühlsame Interaktion.
- Förderung der emotionalen Ausdrucksfähigkeit, auch wenn diese nur minimal ist.
Kommunikation mit neurologisch Schwerstbetroffenen
Bei der Kommunikation mit neurologisch schwerstbetroffenen Menschen, insbesondere im Wachkoma oder minimalen Bewusstseinszustand, ist Zuhören oft gleichbedeutend mit Beobachten. Die Körpersemantik, also die Bedeutung von körperlichen Reaktionen, spielt hier eine entscheidende Rolle.
Körpersemantik: Bedeutung und Interpretation
Professor Andreas Zieger, ein Experte in der Arbeit mit neurologisch schwerstbetroffenen Patienten, hat ein umfangreiches System des Dialogaufbaus entwickelt, das auf der Interpretation von Körperreaktionen basiert. Diese Reaktionen können oft als Indiz für emotionale oder kommunikative Prozesse gedeutet werden.
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Kontaktaufnahme oder Kontaktverweigerung
In der Kommunikation mit schwerstbetroffenen Patienten ist es wichtig, die Anzeichen für eine Kontaktaufnahme von denen für eine Kontaktverweigerung zu unterscheiden. Beispiele für mögliche Anzeichen sind:
- Kontaktaufnahme: Ein geöffneter Mund, Lippenbewegungen, Kauen oder Schmatzen können als Zeichen dafür gedeutet werden, dass der Patient versucht, sich zu öffnen oder auf einen Reiz zu reagieren.
- Kontaktverweigerung: Ein geschlossener Mund und zusammengekniffene Lippen hingegen können darauf hindeuten, dass der Patient sich zurückzieht oder den Kontakt verweigert.
Diese ersten mimischen Reaktionen können wichtige Hinweise auf die emotionale Verfassung des Patienten geben und sollten sorgfältig beobachtet und dokumentiert werden. Sie können auch ein wichtiger Schritt im weiteren Dialogaufbau sein, da sie auf eine gewisse Dialogbereitschaft seitens des betroffenen Menschen hinweisen.
Interpretation von negativen Reaktionen
Es ist ebenfalls wichtig, vermeintlich negative Reaktionen richtig zu interpretieren. Emotionale Dekompensationen, wie sie sich in Symptomen der Dyspnoe (Atemnot) oder einer erhöhten Herzfrequenz zeigen können, sollten nicht sofort als etwas behandelt werden, das es zu unterdrücken gilt. Vielmehr ist es entscheidend, dem Patienten das Recht zuzugestehen, seine Emotionen zu erleben und auszudrücken.
Nicht-medikamentöse Ansätze wie die Verkleinerung des Raumes, das Einwickeln in Körpertücher oder einfach die Nähe einer vertrauten Person können hier oft hilfreicher sein als sofortige medikamentöse Interventionen. Es gilt, die Balance zwischen dem Aushalten von unangenehmen Emotionen und dem Einsatz beruhigender Maßnahmen zu finden.
Schmerz als zentrales Ausdrucksmittel
Schmerz ist das wohl basalste Gefühl, das ein Mensch zum Ausdruck bringen kann. Akute Schmerzreaktionen gehen oft mit mehreren Körperreaktionen einher, die als wichtige Indikatoren für die Schmerzbewertung bei schwerstbewusstseinsgestörten Menschen dienen können.
Körperliche Reaktionen auf Schmerz:
- Veränderung der Atemfrequenz: Der Patient kann die Luft anhalten, tief ein- und ausatmen oder das typische „Au“ von sich geben, was das Atemmuster verändert.
- Erhöhung der Herzfrequenz: Dies ist eine typische Reaktion des Körpers auf akuten Schmerz.
- Mimische Reaktionen: Das Gesicht kann sich verziehen, die Augen können sich zusammenkneifen, oder der Mund kann sich öffnen.
- Erhöhung des Körpertonus: Der betroffene Bereich des Körpers oder sogar der gesamte Körper kann sich anspannen.
Diese Reaktionen sollten sorgfältig beobachtet und als Anhaltspunkte für eine Schmerzbewertung genutzt werden. Es ist jedoch wichtig, nicht nur auf die erste offensichtliche Reaktion zu vertrauen, sondern wiederholte Beobachtungen durchzuführen, um die Schmerzintensität und -ursache besser einschätzen zu können.
Praxisbeispiel:
Ein Beispiel aus der Pflegepraxis verdeutlicht, wie subtil die Interpretation solcher Reaktionen sein kann: Wenn eine pflegende Person im Versorgungsprozess (z.B. beim Ankleiden) die oberen Extremitäten des Patienten bewegt und dieser daraufhin mimisch reagiert oder den Tonus im betroffenen Arm erhöht, muss dies nicht zwangsläufig ein Zeichen von Schmerz sein. Es könnte sich auch um eine Art „Aha-Effekt“ handeln, bei dem der Patient seine eigene Bewegung und Körperwahrnehmung registriert.
Um sicherzustellen, dass es sich nicht um Schmerz handelt, sollte die Bewegung nach einer kurzen Pause von wenigen Sekunden wiederholt werden. Häufig erlebt man in der Wiederholung keine weitere Reaktion. Es ist jedoch auch zu beachten, dass sich die Toleranzgrenze des Patienten verändern kann, abhängig von seiner psychischen Stabilität und seiner Fähigkeit zur Kompensation.
Fazit: Kommunikation im minimalen Bewusstseinszustand ist möglich
Kommunikation ist für uns Menschen allgegenwärtig. Nicht zu kommunizieren entspricht nicht unserem Naturell, und dies gilt auch für Personen mit erworbenen Hirnschäden. Selbst bei schwerstbetroffenen Patienten im Wachkoma oder minimalen Bewusstseinszustand besteht oft eine rudimentäre Kontakt- und Kommunikationsfähigkeit. In vielen Facheinrichtungen werden heute Menschen im minimalen Bewusstsein betreut, und es ist von entscheidender Bedeutung, dass Pflegekräfte und Angehörige die richtigen Kommunikationsstrategien anwenden.
Schlüssel zur erfolgreichen Kommunikation:
- Achtsamkeit und Geduld: Die Pflegekräfte müssen bereit sein, auf subtile Signale zu achten und diese richtig zu interpretieren.
- Empathie: Verständnis und Mitgefühl sind unerlässlich, um eine vertrauensvolle Beziehung zum Patienten aufzubauen.
- Flexibilität: Die Kommunikationsstrategien müssen individuell an den Zustand und die Bedürfnisse des Patienten angepasst werden.
Der wesentliche Anspruch im Dialogaufbau mit diesen Menschen lautet daher: „Augen auf!“ – sei es im wörtlichen Sinne durch die Beobachtung der Augenreaktionen oder im übertragenen Sinne durch die Offenheit und Sensibilität für alle Formen der nonverbalen Kommunikation.
FAQ
Was ist der Unterschied zwischen Wachkoma und minimalem Bewusstseinszustand?
Im Wachkoma (Syndrom reaktionsloser Wachheit) wirken die Betroffenen wach, haben jedoch keine bewusste Möglichkeit, auf ihre Umgebung zu reagieren. Im minimalen Bewusstseinszustand (MCS) können Personen hingegen gezielte, wenn auch eingeschränkte Reaktionen zeigen, wie das Öffnen der Augen oder das Drehen des Kopfes auf ein Geräusch. Diese Reaktionen sind Anzeichen für eine bewusste Wahrnehmung der Umwelt.
Wie kann man bei Menschen im Wachkoma eine Kommunikation aufbauen?
Die Kommunikation mit Menschen im Wachkoma erfordert Geduld und genaue Beobachtung. Reaktionen wie Augenbewegungen, Veränderungen der Atmung oder Gesichtsausdrücke können Hinweise auf eine Art von Kontaktaufnahme sein. Es ist wichtig, diese subtilen Signale zu beachten und als mögliche Form der Kommunikation zu interpretieren.
Welche Rolle spielt die Beziehungsmedizin in der Pflege von Wachkoma-Patienten?
Die Beziehungsmedizin betont den menschlichen Kontakt und die emotionale Unterstützung als zentrale Bestandteile der Pflege. Sie hilft, die psychische Stabilität der Betroffenen zu fördern, was wiederum einen positiven Einfluss auf den Heilungsprozess hat. Durch das Schaffen einer vertrauensvollen Atmosphäre können Pflegekräfte dazu beitragen, dass sich die Betroffenen auf therapeutische Maßnahmen einlassen.
Welche Anzeichen können auf Schmerz bei Wachkoma-Patienten hinweisen?
Anzeichen für Schmerz bei Menschen im Wachkoma können eine erhöhte Herzfrequenz, veränderte Atmung, Muskelverspannungen oder mimische Reaktionen sein. Es ist wichtig, diese körperlichen Signale im Zusammenhang zu beobachten, da einzelne Reaktionen auch durch andere Reize ausgelöst werden können.
Ist Kommunikation auch im minimalen Bewusstseinszustand möglich?
Ja, Menschen im minimalen Bewusstseinszustand können in begrenztem Umfang kommunizieren. Sie reagieren möglicherweise auf bestimmte Reize, zeigen Blickkontakt oder reagieren auf Berührungen. Diese Reaktionen können Hinweise auf eine vorhandene Wahrnehmung sein und sollten in der Pflege als Ansatzpunkt für die weitere Förderung der Kommunikationsfähigkeiten genutzt werden.
Zum Autor:
Dirk Franke ist Fachkoordinator für Langzeitrehabilitation in der ZBI Gruppe. Weitere lesenswerte Artikel von ihm sind:
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